Warnung vor einer gefährlichen Schieflage

Verbände fordern: Suizidvorbeugung soll gestärkt werden

Der Bundestag ist dabei, die Hilfe zum Suizid gesetzlich neu zu regeln. Verbände fordern aber, dass zunächst die Vorbeugung vor Selbsttötung gestärkt werden müsse. "Bevor eine gesetzlich geregelte oder gar staatlich geförderte Suizidbeihilfe oder bundesweite Beratungsstellen zur Umsetzung der Suizidbeihilfe in Betracht gezogen werden, muss dringend die Suizidprävention gestärkt werden", betonte der Deutsche Hospiz- und Palliativverband zum Welttag der Suizidprävention am Samstag.

Mehr als zwei Jahre ist es her, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zur Selbsttötung für eine Paukenschlag gesorgt hat. Zwar hat der Bundestag reagiert und im Juni erstmals über drei Gesetzentwürfe beraten, mit denen er die Vorgaben aus Karlsruhe umsetzen will. Doch das Gesetzgebungsverfahren zieht sich hin.

Das Verfassungsgericht hatte im Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe gekippt und ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben formuliert, und zwar unabhängig von Alter oder Krankheit. Zugleich legten sie dem Gesetzgeber nahe, Missbrauch zu verhindern. Alte und Kranke sollen nicht zur Selbsttötung gedrängt werden können.

Ob das von vielen geforderte Schutzkonzept aber schon im Herbst verabschiedet wird, ist mehr als fraglich. Die Grünen-Politikerin Renate Künast erklärte jedenfalls vergangene Woche, das Parlament stecke wegen den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine und der drohenden Energiekrise bis zum Hals in Arbeit. Ein Gesetz werde vermutlich erst im neuen Jahr verabschiedet.

Um so dringlicher klingen die Appelle von Verbänden und Hilfsorganisationen zum Welttag der Suizidprävention am Samstag: "Bevor eine gesetzlich geregelte oder gar staatlich geförderte Suizidbeihilfe oder bundesweite Beratungsstellen zur Umsetzung der Suizidbeihilfe in Betracht gezogen werden, muss dringend die Suizidprävention gestärkt werden", betonte etwa der Deutsche Hospiz- und Palliativverband (DHPV).

Auch der Katholische Krankenhausverband Deutschlands (kkvd) forderte mehr Aufklärung über Suizidprävention sowie eine rechtliche Verankerung. "Wir schlagen konkret vor, die Themen Suizid und Suizidprävention zum festen Bestandteil der Ausbildung für medizinische, pflegerische, therapeutische und soziale Berufe zu machen", erklärte die kkvd-Geschäftsführerin Bernadette Rümmelin. Auch der Deutsche Caritasverband und die Diakonie Deutschland halten ein Gesetz zur Verbesserung der Suizidprävention für dringend erforderlich.

Jedes Jahr sterben in Deutschland mehr als 9.000 Menschen durch Suizid. Das sind mehr Todesfälle als durch Verkehrsunfälle, Mord und illegale Drogen zusammen. Experten schätzen die Zahl der zusätzlichen Suizidversuche auf mehr als 100.000. Es handelt sich also um ein bedeutendes gesellschaftliches und gesundheitspolitisches Problem. Das sich noch stärker stellt, wenn die Suizidbeihilfe zu einem mehr oder weniger normalen Angebot werden sollte.

Eine Abgeordnetengruppe um den Abgeordneten Lars Castellucci (SPD) hat deshalb zusätzlich zu den drei Gesetzentwürfen zur Regelung der Suizidbeihilfe auch einen Antrag zur Stärkung der Suizidvorbeugung in den Bundestag eingebracht.

Castellucci verweist darauf, dass etwa 90 Prozent der Suizide in Verbindung mit einer psychischen Erkrankung stünden. "Wären Angebote des assistierten Suizids leichter zugänglich als gute Pflege im Alter, bei Krankheit oder Behinderung, leichter zugänglich als psychotherapeutische und psychiatrische Hilfe in psychosozialen Krisen, leichter zugänglich als palliative Versorgung und niedrigschwellige Suizidpräventionsangebote, würde eine gefährliche Schieflage entstehen, die den assistierten Suizid nicht nur ermöglichen, sondern vielmehr fördern würde", heißt es in dem Antrag.

Er sieht deshalb vor, Informations- und Aufklärungsangebote zu schaffen. Die Abgeordneten wollen auch erreichen, dass der Zugang zu tödlichen Substanzen und geeigneten Orten für eine Selbsttötung erschwert werden. Sie schlagen darüber hinaus einen bundesweiten Suizidpräventionsdienst vor, der rund um die Uhr Kontakt mit geschultem Personal ermöglicht.

Der Antrag nimmt zudem die Bekämpfung von Armut und Einsamkeit ins Visier. Verbesserte Lebensbedingungen sollen Selbstmordgedanken vorbeugen. Letztlich geht es darum, zu verhindern, dass Menschen überhaupt in eine solch verzweifelte Lage geraten, dass ihnen nur der Suizid ein Ausweg zu sein scheint.

KNA

12.09.2022 - Recht & Gesetz , Suizid , Verbände